Aktionismus bringt nichts

erschienen im Hamburger Abendblatt …

Der Psychologe Peter Pächnatz über den Umgang mit steigenden Anforderungen. Er fordert mehr Ruhe und Übersicht von Führungskräften.

Interessant im Interview ist der Neologismus Dynaxität … für mich eine unnötige Wortschöpfung, Komplexität als Begriff umfasst in meiner Sicht auch den Aspekt Dynamik – oder anders ausgedrückt: statische Systeme sind nicht komplex. Für Unternehmen und die Gesellschaft allgemein ist Dynamik bzw. Veränderlichkeit die Regel. Wozu also das neue Wort, wenn wir den Begriff Komplexität noch nicht einmal ansatzweise ausgeleuchtet haben ?

ansonsten ein sehr lesenswertes Interview:

ABENDBLATT: Um den Zustand unserer Arbeitswelt zu beschreiben, benutzen Sie das Wort “Dynaxität”. Was bedeutet dieser Begriff?

PETER PÄCHNATZ: Das Kunstwort Dynaxität kennzeichnet die Wechselwirkungen von gleichzeitig zunehmender Dynamik und steigender Komplexität bei wachsendem Risiko von Fehlentscheidungen. Hohe Geschwindigkeit und enorme Vielschichtigkeit prägen unseren beruflichen Alltag. Das heißt, ich habe sehr viele Möglichkeiten, etwas zu tun – und das verändert sich ständig. Sie können sich das so vorstellen: Sie fahren mit einem Porsche konstant mit Tempo 240 auf der Autobahn. Ihre Möglichkeiten, eine Ausfahrt zu wählen, ändern sich ständig, aber Ihr Zeitfenster, die richtige Ausfahrt zu finden, ist extrem klein. Sie müssen also in Sekundenbruchteilen die Situation richtig erfassen, denn eine falsche Entscheidung ist nur mit hohem Aufwand zu korrigieren.

ABENDBLATT: Bin ich denn gezwungen, Tempo 240 zu fahren?

PÄCHNATZ: Ja, weil andere das auch können und tun. Sie stellen fest, daß die Wettbewerber auch mit 230, 240 oder sogar 250 Stundenkilometern unterwegs sind. Geschwindigkeit bedeutet Wettbewerbsvorteile. Mit Innovationen bekommen Sie aber nur einen kurzen Zeitvorsprung hin, denn Produkte und Dienstleistungen sind kopierbar. Wollen Sie erster im Markt bleiben, müssen Sie also ständig schneller werden. Und es kommt hinzu: Sie müssen gleichzeitig an vielen Fronten innovativ sein. Die Frage ist: Wie können Sie das koordinieren?

ABENDBLATT: Gibt es dafür eine Lösung?

PÄCHNATZ: Ja, einen paradoxen Ansatz: Wenn Sie schneller werden wollen, müssen Sie langsamer agieren und das Richtige tun.

ABENDBLATT: Also die bekannte Formel “Wenn Du es eilig hast, gehe langsam”. Warum?

PÄCHNATZ: Erstens: Weil die Fehlertoleranz immer geringer wird. Zweitens: Sie können bei hoher Geschwindigkeit schnell etwas übersehen, was später wichtig wird. Drittens: Sie müssen Vielfalt zulassen, und das erfordert Zeit und Reduktionsweisheit. Viertens: Sie müssen Lösungslosigkeit aushalten, denn Lösungen müssen reifen. Eine zu schnelle Lösung kann Fehler enthalten, so daß die Lösung das Problem wird. Fünftens: Sie müssen den Überblick behalten.

ABENDBLATT: Nun stehen viele Führungskräfte unter Druck: Sie müssen immer schneller immer bessere Ergebnisse erzielen mit immer weniger Mitarbeitern und Ressourcen. Wie kommt man aus diesem Hamsterrad heraus?

PÄCHNATZ: Indem Sie die Gespräche, die Sie mit Mitarbeitern führen, auch wirklich so nutzen, daß Sie davon lernen – und nicht nur eigene Gedanken bestärken lassen. Das Hamsterrad setzt ja voraus, daß Sie immer mehr vom selben tun. Sie kommen also nur heraus, wenn Sie die Dinge mal ganz anders machen.

ABENDBLATT: Was bedeutet das in der Praxis?

PÄCHNATZ: Sie können zum Beispiel Ihre Mitarbeiter auffordern: “Bieten Sie mir nicht nur eine Lösung, sondern mehrere. Und stellen Sie mir die Vor- und Nachteile dar.” Oder fragen Sie Ihre Mitarbeiter nach deren Sicht der Dinge, bevor Sie entscheiden. Sie müssen als Führungskraft viel aufmerksamer prüfen, ob das, was Sie tun, auch wirklich effektiv ist. Und das bedeutet nicht hektische Aktivität, sondern sauberes Denken. Und es kommt ein weiterer Aspekt hinzu: Führungskräfte müssen lernen, immer mehr Spannungen auszuhalten, und nicht immer gleich mit wildem Aktionismus in die Triebabfuhr gehen. Vorsprung durch Hektik gibt es nicht, Aktion bedeutet keineswegs Handlungsfähigkeit. Dieses Modell von Management ist überholt. Interview: MARK HÜBNER-WEINHOLD

erschienen am 19. Februar 2005 in Beruf & Erfolg

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